Die Einführung von Community Health Nurses ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgesehen. Mit ihrer Hilfe soll eine qualitativ hochwertige und in der Fläche gesicherte pflegerische Versorgung gelingen. Doch die Umsetzung in die Praxis läuft schleppend. Eine gemeinsame Erklärung von Deutschem Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Deutschem Pflegerat und dem Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuzerhöht nun den Druck auf die Politik. Wir haben bei DBfK-Bundesgeschäftsführerin Dr. Bernadette Klapper nachgefragt, warum das Berufsbild der Community Health Nurse für die Zukunft der Profession Pflege wichtig ist und wo Deutschland im internationalen Vergleich steht.
Frau Dr. Klapper, Community Health Nursing: Was genau ist darunter zu verstehen?
Community Health Nursing steht für gemeindebasierte Gesundheitsversorgung, für bevölkerungsorientierte Gesundheitsförderung und Prävention sowie für eine bedarfsgerechte, sichere und integrierte Gesundheitsversorgung. Das Berufsbild Community Health Nurse, kurz CHN, ist anspruchsvoll, in der professionellen Pflege verankert und bietet Pflegefachpersonen wohnortnah verantwortungsvolle und gestaltbare Aufgabenfelder in Kommunen und vielen Gesundheitseinrichtungen. Im Mittelpunkt der Tätigkeit einer CHN stehen Gesundheitsförderung, Prävention und Gesundheitsschutz sowie die Arbeit an einer gesundheitsunterstützenden Umwelt beziehungsweise Umfeldern, den sogenannten Settings. Hinzu kommen die Begleitung und Unterstützung von Einzelnen und Familien im Krankheitsfall sowie in Pflegesituationen. Der Begriff "community" im Sinne von "Gemeinschaft" verweist darauf, dass die CHN Personengruppen mit gleichen Gesundheitsrisiken und -bedarfen wie zum Beispiel Kinder aus sozial benachteiligten Familien gezielt in den Blick nimmt und geeignete Maßnahmen ergreift. Die Weltgesundheitsorganisation hat den Stellenwert von Community Health Nursing in der Primärversorgung unter anderem 2017 klar beschrieben. Die CHN hat international eine lange, zum Teil über 100-jährige Tradition.
Warum geht künftig kein Weg vorbei an Community Health Nursing?
Wir stehen vor großen Herausforderungen in unserer Gesundheitsversorgung. Wir haben hartnäckige Strukturprobleme im System. Unsere Krankenhauslandschaft ist dringend reformbedürftig, und wir haben immer noch mit Versorgungsbrüchen zu kämpfen, die für die Patient:innen eine kontinuierliche und integrierte Gesundheitsversorgung erschweren bis verhindern. In dieser Situation trifft uns der demografische Wandel mit aller Kraft. Wir haben mit einem erheblichen Anstieg der Zahl an Menschen mit chronischen und Mehrerkrankungen sowie mit Pflegebedarf zu rechnen. Gleichzeitig steigt der Mangel an Hausärzt:innen vor allem in ländlichen Regionen. Die Antwort auf die Herausforderungen liegt in der Stärkung der Primärversorgung, sodass die Menschen wohnortnah Zugang zur Gesundheitsversorgung haben und bedarfsgerecht medizinisch-pflegerische und weitere Unterstützungsleistungen in guter Koordinierung erhalten. Gesundheitsförderung und Prävention sollen natürlich dafür sorgen, dass erst gar nicht so viele Erkrankungen entstehen – viele chronische Krankheiten sind ja stark abhängig vom Lebensstil – und auch den Verlauf von Krankheiten positiv beeinflussen.
Was sind die Aufgaben einer Community Health Nurse?
Das Berufsbild der Community Health Nurse steht für ein breites Leistungsspektrum. In der Gesundheitsförderung und Prävention arbeitet eine CHN daran, gesunde Settings zu ermöglichen und die Menschen zu mehr Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu befähigen. Sie wird außerdem konkrete Maßnahmen ergreifen, um Krankheiten zu verhindern und deren Folgeschäden abzumildern. Im Gesundheitsschutz geht es darum, Risiken, gefährdete Gruppen und Personen zu erkennen sowie Maßnahmen zur Schadensabwendung und -begrenzung zu planen und diese im Bedarfsfall umzusetzen. Ein Beispiel sind Vorkehrungen für Hitzewellen, die durch den Klimawandel immer häufiger auftreten. Auch in der individuellen Betreuung von Patient:innen, also im Disease Management oder im Krankheits- und Pflegemanagement, hat die CHN eine wichtige Rolle. Das betrifft einerseits die Koordinierung der verschiedenen medizinisch-pflegerischen Versorgungsleistungen über die Sektoren hinweg, andererseits die interprofessionelle Versorgung. Die CHN könnte die Routineversorgung von chronischen Erkrankungen insbesondere im Bereich der großen Volkskrankheiten sowie eigenverantwortlich ausgewählte Behandlungen wie Wundversorgung übernehmen, das Selbstmanagement der Betroffenen gezielt fördern und den Unterstützungs- und Pflegebedarf regelmäßig überprüfen, sodass die Erkrankungen möglichst stabil verlaufen und trotz Krankheit ein gutes Leben möglich ist. Alle genannten Aufgaben setzen in hohem Maße Netzwerk- und Schnittstellenarbeit voraus. Sie erfordern regelmäßige Bestandsaufnahmen und Bedarfsanalysen sowie die bedarfsgeleitete Weiterentwicklung der lokalen Versorgungsstrukturen.
Welche Praxisfelder kommen für CHN infrage?
Der ideale Ort für den Einsatz von CHN ist sicher das Primärversorgungszentrum, wie sie zum Beispiel von der Robert Bosch Stiftung seit einigen Jahren gefördert werden: kommunal eingebunden, mit Angeboten der Gesundheitsförderung und Prävention sowie mit einem multiprofessionellem Versorgungsteam, das seinen Patient:innen umfassende und vorausschauende Versorgung aus einer Hand anbietet. Die CHN kann sich auch in einen öffentlichen Gesundheitsdienst einbringen, der sich im Sinne von Public Health weiterentwickelt. Sie kann außerdem ihren Schwerpunkt in der kommunalen Daseinsvorsorge setzen und das Quartiersmanagement sowie die spezifische Sozialraumentwicklung vor Ort übernehmen. Und nicht zuletzt könnte eine Community Health Nurse Teil einer weiterzuentwickelnden ambulanten Pflege werden. Sie könnte der Fehlentwicklung der Kleinteiligkeit der ambulanten Pflege in Deutschland etwas entgegensetzen und die gemeindenahe häusliche Versorgung stärken, sie umfassender und bedarfsgerechter gestalten und als einen wesentlichen Teil der Primärversorgung positionieren. Denn es wird zunehmend erforderlich sein, Pflegearrangements in Zusammenarbeit mit Zu- und Angehörigen zu stützen und im Versorgungsverlauf anschlussfähig zu halten.
Wie sieht die Ausbildung zur CHN aus?
Als DBfK setzen wir uns für einen Masterabschluss in Community Health Nursing ein. Das ist angesichts des Aufgaben- und Leistungsspektrums eindeutig erforderlich. Wir haben dem Gesetzgeber und verantwortlichen Akteuren einen konsekutiven Masterstudiengang vorgeschlagen, der auf einen pflegerischen Bachelorabschluss folgt, und dazu einen Aufbauplan vorgelegt. Die Einbeziehung von Advanced Nurse Practitionern könnte über hochschulische Einzelmodule erfolgen. Wir fordern die Verankerung der Berufsbezeichnung Community Health Nurse im Pflegeberufegesetz und die Einrichtung von mehr CHN-Studiengängen. Aktuell ist das Studium möglich an der Universität Witten/Herdecke, der Evangelischen Hochschule Dresden und der Katholischen Hochschule München.
Gibt es einen Unterschied zwischen Advanced Practice Nurses und Community Health Nurses?
Advanced Practice Nursing steht ja für eine erweiterte und fortgeschrittene Pflegepraxis und bezieht sich zunächst auf einen Rahmen für verschiedene Erweiterungen pflegerischer Praxis. CHN ist damit eine Ausprägung von Advanced Practice Nursing und stellt die erweiterte Praxis in der Primärversorgung dar. Advanced Practice Nurses, APN, wie wir sie auch kurz nennen, kommen in Deutschland meist in Kliniken zum Einsatz, wo sie in komplexen Pflegesituationen beratend zur Seite stehen. Deutschland steht auch hier noch sehr am Anfang, denn natürlich wären weitere APN-Ausprägungen zum Beispiel in pädiatrischer oder psychiatrischer Pflege wünschenswert.
Manche aus der Ärzteschaft haben Sorge, CHN sorgten für eine "Versorgung light". Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Diese Sorge kann ich nicht bestätigen. Wir wissen aus Studien, dass sich durch den vermehrten Einsatz akademisch qualifizierter Pflegefachpersonen die Morbidität, die Mortalität und die Kosten senken lassen, sich Versorgung also verbessert. In vielen anderen Ländern übernehmen Pflegefachpersonen Aufgaben, die hierzulande als ausschließlich medizinische Tätigkeiten verstanden werden. Ich habe noch nie aus einem dieser Länder gehört, man würde "Versorgung light" anbieten, zumal Community Health Nurses auch dafür sorgen sollen, dass Gesundheitsförderung und Prävention mit der medizinisch-pflegerischen Versorgung verzahnt werden. Im OECD-Vergleich befindet sich Deutschland in Bezug auf die Ergebnisse der Gesundheitsversorgung nur im Mittelfeld. Es wäre spannend zu analysieren, ob ein Grund dafür auch in der Aufgabenverteilung der Gesundheitsberufe liegt.
Sind die derzeitigen gesetzlichen Regelungen ausreichend, um das Potenzial von CHN in der pflegerischen Versorgung voll ausschöpfen zu können? Woran mangelt es derzeit noch?
Die gesetzlichen Regelungen sind noch nicht ausreichend. Die Finanzierung für die Tätigkeiten der Gesundheitsförderung und Prävention fehlt, ebenso für koordinierende Tätigkeit in der Patient:innenversorgung. Nötig sind zudem die Zuerkennung der Heilkundeausübung und Anpassungen im Heilberufegesetz, im Leistungs- und Leistungserbringergesetz sowie der Schutz der Berufsbezeichnung mit Verankerung im Pflegeberufegesetz. In Konsequenz wären dann sinnvollerweise auch die Häusliche-Krankenpflege-Richtlinie, §3, und die Einschätzung des Pflegegrads, SGB XI §18, anzupassen.
Wie sieht der Einsatz von Community Health Nurses in anderen Ländern aus? Sind sie dort schon fest etabliert?
Ja, der Ursprung von Community Health Nursing reicht zurück bis ans Ende des 19. Jahrhunderts und ist eng verknüpft mit der damals zunehmenden Bedeutung der öffentlichen Gesundheitspflege und speziell dem Verständnis der Einflüsse von umweltbedingten und sozialen Faktoren auf die Gesundheit. Der Einsatz von CHN führte zur Entstehung von sogenannten Visiting Nurses und Settlement Houses, von denen aus Pflegende bedürftige Personen und Familien in der Gemeinde oder der Kommune aufsuchten und sich um die Erhaltung ihrer Gesundheit bemühten. Die bekannte US-amerikanische Krankenschwester Lillian Wald war hier wegweisend mit der Gründung des Henry Street Settlements. Community Health Nurses sind zum Beispiel fest etabliert in Kanada, Großbritannien, Schweden, Finnland und in den Niederlanden.
Wie realistisch ist eine zeitnahe Etablierung von CHN in Deutschland und welche Einflussmöglichkeiten hat der DBfK?
Die Einführung des Berufsbilds der Community Health Nurse ist im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung formuliert. Auch Nordrhein-Westfalen unterstützt diese Entwicklung, weitere Bundesländer denken in diese Richtung. Das muss jetzt von der Politik umgesetzt werden. Der DBfK mit seiner 100-prozentigen Tochter, der Agnes-Karll-Gesellschaft für Gesundheitsbildung und Pflegeforschung, hat als Förderpartner der Robert Bosch Stiftung eine detaillierte Konzeption des Berufsbilds und der Einsatzmöglichkeiten in Deutschland vorgelegt. Wir haben ergänzend die Entwicklung von einschlägigen Studiengängen vorangetrieben und begleiten diese weiter; ein Netzwerk ist auf Initiative des DBfK entstanden. Wir freuen uns, im Deutschen Pflegerat und dem Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz starke Allianzpartner gewonnen und eine gemeinsame Erklärung formuliert zu haben. Wir informieren in fachöffentlichen Veranstaltungen zur Community Health Nurse und diskutieren viele Einzelfragen in politischen Gesprächsrunden. Und wir sprechen direkt mit Vertreter:innen der Politik und der Ministerien und drängen auf Umsetzung des Koalitionsversprechens.